Stress und Frauenherz

Die psychosoziale Belastung und der Stress allgemein sind bei Frauen in den letzten Jahren stark angestiegen. Weil das weibliche Herz-Kreislaufsystem sensibler auf Stress reagiert als das männliche, steigen auch die durch die Belastung induzierten Erkrankungen stärker an.  

Frauen stemmen oft mehrheitlich die familiären Verpflichtungen von Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen und Haushalt. Diese Mehrfachbelastung überschreitet irgendwann die Grenzen des Machbaren. Daher erstaunt es nicht, dass in der Schweiz sogenannte «nicht-traditionelle» Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, hierunter psychosoziale Belastungen, Stress und Schlafstörungen, in den letzten 15 Jahren bei Frauen deutlich zugenommen haben (Neurovascular disease in Switzerland: 10‐year trends show non‐traditional risk factors on the rise and higher exposure in women - Hänsel - 2022 - European Journal of Neurology - Wiley Online Library). Eine zunehmende Anzahl an Studien belegt, dass das weibliche Herz-Kreislauf-System sensibler auf Stress reagiert als das männliche (Kardiovaskuläre Gendermedizin: Stress und Herz | Ärzte Krone (medmedia.at). Letzteres zeigt sich auch anhand des häufigeren Vorkommens der sogenannten stress-induzierten akuten Herzerkrankung beim weiblichen Geschlecht, auch bekannt als ‘Takotsubo-Kardiomyopathie’. Diese tritt in Folge eines emotional sehr belastenden Ereignisses bei vorwiegend postmenopausalen Frauen auf. 

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind jedoch nicht nur Folgeerkran¬kungen von psychischer Belastung und Stress, sie können ihrerseits psychische Belastungen und Ängste auslösen. 
Rund 20–40 % der Herz-Patientinnen und -Patienten entwickeln eine Angststörung oder Depression. Frauen sind auch nach einem Herzinfarkt häufiger von einer Depression und mentalem Stress betroffen als Männer. Herz-Kreislauf-Patientinnen und Patienten mit Depression oder Angststörung haben ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko, eine höhere Rehospitalisierungsrate sowie eine niedrigere Lebensqualität als Patientinnen und Patienten ohne Depression. Dementsprechend konnten wir in unseren Studien mittels bildgebender Methoden nachweisen, dass das Angstzentrum des Gehirns, die sogenannte Amygdala, bei Frauen mit Herz-Kreislauferkrankungen chronisch aktiv ist, nicht jedoch bei ihren männlichen Leidensgenossen. Auch konnte man feststellen, dass die  Aktivität des Angstzentrums im Gehirn bei gesunden Männern mit dem Alter abnimmt, während sie bei Frauen persistierend hoch ist Link (primary-hospital-care.ch). Letzteres könnte die erhöhte Prädisposition von Frauen gegenüber stress-induzierten Schäden am Herz-Kreislaufsystem erklären. Die genauen Mechanismen, welche die Herz-Gehirn-Interaktionen bei Männern und Frauen vermitteln, sind bislang noch ungeklärt und werden derzeit in weiteren Studien untersucht  Link (usz-foundation.com). Wichtig ist, dass stress-auslösende Faktoren insbesondere bei der Nachsorge der Herzpatientinnen nicht ausser Acht gelassen werden. Indi¬viduell zugeschnittene Massnahmen zur Stressreduktion sollten eine zentrale Rolle bei der Behandlung spielen. Hierbei gilt es besonders zu berücksichtigen, dass die psychosoziale Belastung von Frauen in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen hat, bedingt durch die Mehrfachbelastung durch Beruf, Haushalt und Familie.